Auf das Gespräch mit Nils Goerke war ich sehr neugierig, weil ich seine Leistungsfähigkeit absolut faszinierend finde, wenn ich sie mir vor Augen führe: 3,6 km Schwimmen, danach 180 km Radfahren und im Anschluss die Marathonstrecke von 42 km zu laufen, das ist für die meisten von uns unvorstellbar. Was ich mir von einem Ex-Triathlon-Profi und Mentalcoach natürlich erhofft habe, war zu erfahren wie die 0,1 Prozent mental wohl stärksten Menschen der Bevölkerung denken. Was ich nicht erwartet habe war, dass Nils Talent im Hochleistungssport deutlich hinterfragt hat und mir im Laufe des Gesprächs die Bausteine für eine neues Verständnis von Talent liefert. Gleich in den ersten zehn Minuten des Gesprächs erklärte mir Nils zum Triathlon: „Dass sich der Talentierteste durchsetzt ist eher selten der Fall.“
Der Kopf ist der stärkste Körper
Dass Erfolg auf Talent und Fleiß basiert überrascht wenig. Schon etwas mehr, dass mentale Stärke selbst im Extremsport Eignung schlägt: Im Triathlon, so Nils, gewinnen in der Regel Menschen, die körperlich gerade nicht optimal dafür geeignet sind dafür, weil sie zum Beispiel zu groß oder zu schwer gebaut sind. Was sie aber mitbringen ist nicht nur Ehrgeiz, sondern u.a. die mentale Stärke einen bizarr zugespitzten Leistungsdruck auszuhalten – der existenziell ist. Zum Vergleich: Als Freelancer und Unternehmer stehen mir +230 Arbeitstage im Jahr zur Verfügung, um meine Leistung abzuliefern und mein Geld damit zu verdienen. Als Triathlet entscheidet oft ein einziger Tag im Jahr darüber, ob ich im kommenden Jahr über die Runden komme, weil ich Sponsoren finde. Das eigentliche mentale Talent, dass sich für mich aus der Folge mit Nils kristallisiert hat geht meilenweit über unseren Begriff von „Einstellung“ und „Mindset“ hinaus.
Bedingungslos denken
Als Coach sagt Nils heute: „Ich bin mittlerweile zu der Erkenntnis gekommen, dass zu Talent der Kopf noch viel mehr dazugehört, das kannst Du gar nicht trennen.“ Er ist acht Mal als Profi beim härtesten Triathlon der Welt, der Ironman Weltmeisterschaft auf Hawaii, angetreten. Was mich noch mehr ins Nachdenken gebracht hat war , dass er wusste, wann er aussteigen musste, und zwar mitten im Wettbewerb. Für diese mentale Stärke habe ich einige Erfolgsfaktoren aus dem Gespräch mitgenommen. Keiner davon war mir vollkommen neu, aber Nils hat sie für mich auf eine neue Art und Weise dargelegt: Etwas mit der Konsequenz eines Top-Athleten zu durchdenken ist unbezahlbar, ein echtes Training für Kopf und Ego. Dazu gehört:
Bewusst machen:
Fußballtrainer Pep Guardiola hat nach einem Misserfolg seines Teams einmal erklärt: “I am fully responsible for the performances.” Nils Goerke unterstreicht diesen Satz als Coach und hat ihn als Triathlet gelebt. Die volle Verantwortung für seine Leistung zu übernehmen bedeutete schonungslose Selbstreflexion. „Du musst Dich fragen, was fehlt mir?“, wie Nils es ausdrückt. Er hat u.a. mit einem Psychologen gearbeitet und seine Leistung immer weiter verbessert, durch die Arbeit im Kopf. Dieses hochbewusste Arbeiten war schließlich auch entscheidend dafür, um den richtigen Absprung aus dem Hochleistungssport zu finden, woran viele Sportler scheitern. Beim achten Ironman Hawaii war er 38 Jahre alt und in der Topform seines Lebens. Wenige Tage vorher bekam er eine Erkältung. Weil er im Pazifik nicht umkehren konnte, schwamm er die vollen 3,6 km, setzte sich sogar noch auf’s Fahrrad – und hielt irgendwann einfach an. Kurze Zeit später hat er sich eingestanden: „Du bist als Profi durch.“
Spiegelneuronen nutzen:
Als Coach holt Nils seine Schützlinge aus der Egozentrik des Triathleten-Daseins und bringt sie in Trainingsgruppen. Die Vorzüge des gemeinsamen Trainings – in Deutschland eher unüblich – hat er aus den USA und Australien importiert. Es bedeutet z.B. 180 km Ansporn auf dem Rad, weil ich die anderen sehe. Für seine eigene Arbeit holt sich Nils Feedback von Experten – um eigene Arbeitsansätze zu spiegeln und berufliche Entscheidungen zu reflektieren.
Über den Tellerrand schauen:
Was Nils enorm geholfen hat nach seiner Profi-Karriere war, dass er immer Interessen und Kontakte „über den Tellerrand hinaus“ hatte. So hat er ein Startup und seine Gründer kennengelernt und sie beim Marketing unterstützt – was sein Ausstieg als Profi war. Ich glaube, wir networken alle und verfolgen unser Medien, aber schauen eben oft nicht über den Tellerrand hinaus bleiben und bleiben in einer Blase. Ich dachte zum Beispiel vor der ersten Folge dieser Podcastreihe: ‚Ich mache heute seit langem wieder einmal etwas, dass ich noch nie im Leben gemacht habe.‘ Nils Goerke hat mir dazu gesagt: „Ich glaube ganz viele Leute haben Möglichkeiten und nutzen sie nicht.“
Entscheidungsfreude leben:
Nils sagt mit 46 Jahren über seine Laufbahn, die guten Sachen seien immer zu ihm gekommen, aber er habe sie dann eben auch gemacht. Was er speziell in Deutschland beobachtet ist ein Zaudern: „Ich glaube, dass das ein ganz großes Problem on vielen ist, dass sie Chancen nicht erkennen oder aber immer so eine Kosten-Nutzenrechnung machen, habe ich irgendwo Netz mit doppeltem Boden? Statt einfach zu sagen, ‚Hey ich hab‘ ein gutes Gefühl, ich geh‘ das jetzt rein, ich mach‘ das jetzt‘“. Dabei geht es nicht so sehr darum, alles auf eine Karte zu setzen wie man immer sagt: Nils verdient sein Geld heute als Coach, arbeitet aber außerdem mit einer Krankenkasse zusammen. Es geht vielmehr oft darum zuerst einmal auf eine eigene Karte zu setzen und Freude an den eigenen Entscheidungen, der eigenen Arbeit zu haben. Dazu passt, was mir wohl am meisten in Erinnerung bleibt aus dem Gespräch: In seiner Zeit als Schüler in den USA und Australien begann das Schwimmtraining oft schon um 5 oder 6h morgens. Je härter das Training war, umso mehr freuten sich die Kids danach unter der Dusche über ihre Leistung. Zurück in Kiel hörte er seine Trainingsgenossen unter der Dusche nur Fluchen und Stöhnen.
Meine Frage nach dieser Skizze ist: Welche mentale Stärke habt Ihr entwickelt und wodurch? Wie holt ihr Euren Kopf aus der Komfortzone?