Mein Gespräch mit Aminata Belli ist so dahin geflossen, dass ich immer wieder auf meine Fragen schauen musste, ob ich sie auch alle im Blick behalte. Die zentrale Frage, die ich mir nach der inspirierenden Folge mit Aminata gestellt habe, war “Welche Art von Verantwortung lernen wir?” Denn viele Menschen – auch aus meinem sozialen Umfeld – handeln aus ihrem Verständnis von Verantwortung heraus polar entgegengesetzt zu Aminata. Als ich mich mit meinem heutigen Partner und langjährigem Freund Marlon Litz-Rosenzweig nach dem Studium selbständig gemacht hieß das: “Wieso macht Ihr nichts Ernsthaftes?” Und noch immer sehe ich häufig, dass die risiko-averse Entscheidung gesellschaftlich populärer ist, als das Übernehmen von Verantwortung.
Es sich nicht leicht machen – wenn es läuft
Natürlich habe ich bei Aminata als Schaustellerkind vermutet, dass sie starke soziale Kompetenzen hat, weil sie immer wieder in neuen Schulklassen saß, dass sie street smart ist, sich zu behaupten und zu erklären weiß – und dass sie unabhängiger ist von materieller Sicherheit als jemand aus einem typischen Haushalt mit doppeltem Einkommen und Einfamilienhaus. Wie sie es ausdrückte: “Wenn Jahrmarkt ist, und es drei Tage durchregnet, dann hast Du kein Geld. Mit diesem Mindset bin ich aufgewachsen.” Ich konnte in dem kleinen, schalldichten Raum des OMR-Aufnahmestudios die völlige Abwesenheit von Zukunftsangst spüren, mit der mir eine Akademikerin erklärt, wenn nichts läuft , dann geht sie halt kellnern. Noch mehr beeindruckt hat mich, dass sie es sich nicht leicht macht und viele Dinge sehr stark reflektiert: Trotz bestens laufender Karriere nimmt sie ihren Erfolg u.a. auf Instagram ernst, mischt sich ein und bezieht gesellschaftspolitisch Stellung. Das mag erst einmal auch noch hervorragend in das Image einer telegenen, jungen, multikulturellen Frau passen, die MTV moderiert.
Was mein Bild gedreht hat war als Aminata mir erklärte, warum sie keine typische Influencerin sein möchte: “Der typische Influencer ist ja das dünne blonde Mädchen, dass den ganzen Tag Donuts isst und ganz dünn bleibt und davon spricht, dass ihr Hüftgold von den Donuts kommt, und das ist sehr problematisch.” Dann erzählte sie mir wie viel und wie lange sie oft über ihre Postings nachdenkt. Bei hitzigen gesellschaftlichen Debatten ihr wichtigstes Kriterium: Die Frage, ob sie alle Zusammenhänge und Hintergründe kennt. Das hat für mich plötzlich sehr gut zu ihren Aufträgen fürs ZDF gepasst. Was ich sehr greifbar vor Augen hatte war eine radikale Verantwortung, nämlich die für die eigene Freiheit.
Wir lernen, dass Verantwortung heißt, sie gut abzugeben.
Wir lernen, dass Verantwortung heißt, sie gut abzugeben: an einen Arbeitgeber, eine Versicherung, einen Auftraggeber, Likes, Erfolgsbeispiele und Vorbilder. Was ich bei Aminata aus ihrer Erziehung und Jugend herausgehört habe ist eine radikale Verantwortung für die eigene Freiheit: nicht nur für das eigene Auskommen, ein professionell angepasstes Verhalten und die eigene Absicherung, sondern Verantwortung für eigene Wagnisse, eigenes Lernen, das Vorankommen und eigene Ziele – und den Einfluss, den wir auf das Leben und Denken anderer haben. Diese Verantwortung wird uns noch viel zu wenig beigebracht, und wir erwerben sie nicht automatisch, weil wir frei arbeiten oder ein eigenes Unternehmen gründen, denke ich (obwohl das ein guter Anfang ist :).
Aber: Diese Sorte Verantwortung kann man sicher nicht nur auf einem verregneten Kirmesgelände lernen. Was mich interessiert: Wo habt Ihr diese Haltung angetroffen? Wie habt Ihr sie gelernt? Bzw. welche Hindernisse sehr Ihr dafür?